Hanf (Cannabis Sativa L.) hat als Heilpflanze eine mehr als 2.000 Jahre alte Geschichte, jedoch haben Forscher die Wirkungsweise erst in den vergangenen Jahren verstärkt untersucht. Inzwischen konnten Wissenschaftler im Rahmen klinischer Studien mehrfach nachweisen, dass Cannabis gegen chronische Schmerzen helfen kann.
Der folgende Artikel informiert über wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit von medizinischem Cannabis gegen chronische Schmerzen sowie über die Voraussetzungen für die ärztliche Verordnung, die Wirkungsweise und mögliche Nebenwirkungen.
Medizinisches Cannabis ist Marihuana in pharmazeutischer Qualität, das der Behandlung bzw. Linderung von Beschwerden oder Krankheitssymptomen dient. Die Cannabis-Behandlung gegen Schmerzen kann mit Blüten oder Medikamenten erfolgen, beide Anwendungsarten fallen unter das Betäubungsmittel-Gesetz. Im Vergleich zu gewöhnlichem Cannabis kann der THC-Anteil höher sein und bei THC-Kristallen bis zu 80 Prozent betragen.
Die medizinische Wirkung von Cannabis bei Schmerzen wird seit einigen Jahren intensiver erforscht, dabei geht es vor allem um die Inhaltsstoffe THC (Delta-9-tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol):
Das körpereigene Endocannabinoid-System (ECS) ist Teil des Nervensystems und wurde erst in den 1990er-Jahren bei der Erforschung der Cannabinoide entdeckt. Es agiert als Vermittler zwischen Gehirn und dem Körper. Die pflanzlichen Cannabinoide interagieren mit dem ECS über zwei Varianten von Cannabinoid-Rezeptoren: Der Cannabinoid-Rezeptor CB1 beeinflusst das zentrale Nervensystem, die Leber und den Gastrointerstinaltrakt. CB2 wirkt hauptsächlich auf das Immunsystem. Das Endocannabinoid-System hat die Aufgabe, wichtige Funktionen des Körpers zu regulieren:
Cannabis eignet sich aufgrund der Wirkung auf das Endocannabinoid-System unter anderem als Medizin für die Schmerztherapie.
Mehr als 100 Cannabinoide der Hanfpflanze sind bekannt. Die bekanntesten und am umfangreichsten untersuchten Varianten sind THC und CBD, die auf Rezeptoren des ECS wirken und sich gegenseitig beeinflussen. THC ist der primär psychoaktive Inhaltsstoff und kann bei Schmerzen, Übelkeit und Schlafstörungen helfen. CBD kann in Kombination mit THC die psychoaktive Wirkung ausgleichen und weitere Beschwerden lindern. Die allgemeine Wirkung von THC und CBD veranschaulicht die folgende Tabelle.
THC kann | CBD kann |
die Schlafqualität verbessern | Entzündungen hemmen |
die Symptome chronischer Schmerzen lindern | die Symptome chronischer Schmerzen lindern |
den Appetit anregen | die Kontrolle von Anfällen bei refraktärer Epilepsie unterstützen |
Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie lindern | antipsychotisch und antidepressiv wirken |
die Spastizität bei Multipler Sklerose mindern | als Angstlöser übermäßige Ängste mindern (Anxiolytikum) |
neuroprotektiv wirken und das Gehirn sowie Nervensystem schützen | |
in Kombination mit Melatonin Schlafstörungen und Angstzustände verringern |
Nach den Erfahrungen betroffener Schmerzpatienten mit medizinischem Cannabis und nach aktuellem Stand der Wissenschaft sind THC und CBD für die Schmerztherapie sinnvoll und wirken am besten in Kombination miteinander.
Die Linderung chronischer Schmerzen nennen Patienten als häufigsten Grund für die Einnahme von medizinischem Cannabis. Die Schmerzen können unterschiedliche Ursachen haben. Zugrundeliegende Krankheiten können mit einer Nervenkrankheit (Neuropathie) verbunden sein, auch Schmerzen aufgrund von Krebs, bei Multipler Sklerose, rheumatischer Arthritis und verursacht durch eine Chemotherapie sind möglich. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass medizinisches Cannabis eine wirksame Behandlung bei chronischen Schmerzen darstellt:
In einer Studie von Ilgen et al. aus dem Jahr 2013 gaben beachtliche 87 Prozent der Teilnehmer an, dass sie medizinisches Marihuana im Rahmen einer Schmerztherapie zur Schmerzlinderung verwenden.
Whiting et al. untersuchten 2015 im Rahmen einer Metaanalyse die Ergebnisse von 28 Studien mit 2.500 Teilnehmern. Die Datenauswertung deutet darauf hin, dass pflanzen-basierte Cannabinoide die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Schmerzlinderung gegenüber der Kontrollgruppe um rund 40 Prozent erhöhen.
Wallace et al. kamen zu dem Ergebnis, dass die schmerzlindernde Wirkung bei inhalativer Anwendung von vaporisiertem Cannabis bei schmerzhafter diabetischer peripherer Neuropathie von der Dosis abhängt. Die hohe THC-Dosis zeigte die stärksten Effekte für die Schmerztherapie.
Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass einige Schmerzpatienten die Einnahme herkömmlicher Schmerzmittel wie Opiate durch Cannabis ersetzen können. Nach Boehnke et al. konnten Schmerzpatienten mithilfe von Cannabis die Einnahme von Opiaten um 64 Prozent reduzieren.
Eine Analyse von 10.000 Patientendaten in Israel im Jahr 2022 ergab, dass die Behandlung mit medizinischem Cannabis mit einer hohen Therapietreue einhergeht, die Lebensqualität der Betroffenen verbessert und die Schmerzen
Zusammengefasst: Für die Behandlung mit Cannabinoiden bei Schmerzen liegt eine moderate Evidenz vor. Demnach gehören starke Schmerzen zu den Hauptgründen für die Einnahme von medizinischem Cannabis, das zahlreiche Patienten gegenüber Opiaten bevorzugen. THC und CBD wirken den Ergebnissen zufolge am besten in Kombination und verstärken so den schmerzlindernden Effekt. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen der Schmerztherapie mit Cannabis im Vergleich zu Opiaten geringer.
In Deutschland dürfen Ärzte jeder Fachrichtung ohne weitere Qualifikation seit 1. März 2017 schwer kranken Patientinnen und Patienten medizinisches Cannabis unter anderem zur Schmerztherapie verordnen. Bei welchen Indikationen Cannabis als Medizin auf Kassenrezept verordnet werden darf, wurde dabei allerdings nicht genau umrissen. Mit der Neuregelung entfällt das vorherige Verfahren mit einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) für eine ärztlich begleitete Selbsttherapie. Medizinisches Cannabis erlebt seitdem einen Boom, vor allem in der Anwendung gegen Schmerzen. Der staatlich organisierte Verkauf von Cannabis aus Deutschland an Apotheken findet seit Mitte 2021 statt, zuvor wurde es aus Importen bezogen.
Ob Cannabis für die Behandlung chronischer Schmerzen infrage kommt, hängt von den weiteren möglichen Therapien und der Abwägung der Nebenwirkungen ab. Es gelten strenge Voraussetzungen:
Die Ärzte entscheiden, ob diese Voraussetzungen gegeben sind und holen die Genehmigung bei der Krankenkasse ein. In der Folge erhalten die Patienten zum Beispiel im Rahmen der Schmerztherapie ein sogenanntes Betäubungsmittel-Rezept. Das medizinische Cannabis wird dann zusätzlich zu anderen Medikamenten und nicht als Ersatz verschrieben.
In vielen Fällen übernehmen die Krankenkassen die Kosten einer Cannabis-Behandlung bei chronischen Schmerzen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Versorgung durch die gesetzliche Krankenkasse laut einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe (01/2022) erst in Betracht kommt, wenn „geeignete, allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden nicht mehr zur Verfügung stehen“. Hintergrund: Ein 27-Jähriger Patient mit chronischem Schmerzsyndrom hatte geklagt, weil das verordnete Mundspray Sativex mit Cannabis-Extrakten eine deutliche Verbesserung brachte, jedoch die Krankenkasse die Kosten nicht übernehmen wollte. Die Begründung für die Ablehnung: Die alternativen Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. Dazu zählen in diesem Fall mit Problemen an Rücken und Beinen eine psychotherapeutische Mitbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und aktivierendes Training. Wichtig: Für die bessere Versorgung von Schmerzpatienten hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) mit der AOK Rheinland/Hamburg im März 2022 einen neuen Vertrag abgeschlossen. Vertragsärzte mit Zusatzausbildung „Palliativmedizin“ oder „Spezielle Schmerztherapie“ können die Präparate einfacher verordnen, sie entscheiden jetzt ausschließlich und in Absprache mit ihren Patienten über die Therapie. Dies reduziert den bürokratischen Aufwand und die Wartezeit. Die Ärzte müssen dafür eine 20-stündige Zusatzausbildung „Schmerzkompetenz Cannabis“ absolvieren.
Cannabis ist kein Allheilmittel. Ärzte können es schwerkranken Menschen in Ausnahmefällen verschreiben. Die Einnahme von Cannabis kann verschiedene Nebenwirkungen zur Folge haben, dazu gehören:
Ein möglicher Grund dafür kann sein, dass die Studien nur über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum durchgeführt wurden.
Bisher gibt es keine Berichte über lebensbedrohliche Nebenwirkungen nach der Einnahme von medizinischem Cannabis in pharmazeutischer Qualität. Aufgrund der Begleiterscheinungen bricht allerdings rund ein Drittel der Patientinnen und Patienten die Cannabis-Behandlung ab.
Hinweis: Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Problemen und während der Schwangerschaft ist Cannabis nicht geeignet.
Grundsätzlich können Patienten Cannabis oral aufnehmen oder durch Rauchen oder Verdampfen inhalieren. Das Verdampfen mit einem Vaporisator ist die empfohlene Alternative zum Rauchen. Welche Art der Einnahme besser geeignet, hängt auch vom Wunsch der Patienten und der Indikation sowie möglichen Begleiterkrankungen ab.
Es hängt von der Art der Einnahme ab, wie schnell und wie lange das Cannabis wirkt. Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht.
Inhalation (Rauchen, Verdampfen) | Orale Einnahme | |
Wirkeintritt | Sekunden bis wenige Minuten | nach 30 bis 90 Minuten |
Eintritt der maximalen Wirkung | nach circa 20 Minuten | nach 2 bis 4 Stunden |
Wirkdauer | etwa 2 bis 3 Stunden | etwa 4 bis 8 Stunden |
Neben der schmerzlindernden Wirkung der Pflanzenwirkstoffe können diese auch Beschwerden bei weiteren Krankheiten mildern: Cannabis hilft nachweislich unter anderem
Es mehren sich auch die Anzeichen, dass die Behandlung mit CBD und THC bei psychischen Erkrankungen sinnvoll sein kann. Medizinisches Cannabis kann unter Umständen bei ADHS, Angststörungen, Schlafstörungen und anderen Beschwerden helfen, wobei die Evidenz bisher gering ist. Weitere wissenschaftliche Studien sind in Arbeit.
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